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Was Klaus sagte, war Gesetz

Ich hab in einer Zeit das Reiten gelernt, da gab es noch kein Internet, von Facebook ganz zu schweigen. Es gab auch noch keine Wendy, es gab die Conny. Macht aber nichts, weil Conny war genauso toll wie Wendy. Conny hat auch immer alle Pferde gerettet und war im Grunde auch so eine Pferdeflüsterin wie Wendy, lange bevor wir Monty Roberts und Co. überhaupt kannten. Das ist aber auch egal, weil unser Pferdeflüsterer hieß Klaus. Klaus war ein niedersächsischer Bauer, der auf seinem Hof ein paar Schweine hielt, ab und zu mal Kühe und Pferde… jede Menge Pferde, weil Klaus war Pferdehändler. So ein richtiger Pferdehändler. Ich glaube, dort hat niemand ein Pferd gekauft (natürlich per Handschlag) ohne irgendwie von ihm betrogen worden zu sein.

Bevor jetzt die Empörung ausbricht und jemand schreit „Das geht doch nicht“, doch, das geht oder das ging zumindest damals. Es war bekannt, dass Pferdehändler die größten Schlitzohren sind. Wer dort ein Pferd kaufte und dachte, dass ihm die Wahrheit erzählt wurde, der glaubte auch noch an den Weihnachtsmann. Aber: Die kleinen Lügen waren harmlos. Da wurden keine schwerwiegenden Krankheiten verschwiegen, da wurde kein uraltes Pferd als junger Hüpfer verkauft, es waren eher die Kleinigkeiten.

Und wir waren als Teenys damals unmittelbar an dem „Betrug“ beteiligt. „In zwei Stunden kommt ein Käufer für Fury“, hieß für uns: „Rauf auf das Pferd und ab ins Gelände, den als totbrav angepriesenen Fury müde machen“, denn Fury war garantiert nicht so ein artiges Pferd als das er in zwei Stunden verkauft werden sollte. Fury war nicht böse oder dergleichen, aber Fury konnte Gas geben. Und genau das tat er mit uns zwei Stunden lang. Nassgeschwitzt kamen wir nach zwei Stunden später zurück, Fury hatte sich ausgelaufen, dann war er einigermaßen brav. Wir erreichten den Hof, die Verkäufer standen schon parat und neben ihnen: Klaus. Für uns gab es erstmal eine Standpauke, weil wir zu spät zurückkamen, weil der arme Fury klatschnass geritten war, aber: Das ganze war Programm des Verkaufsgesprächs. Das Donnerwetter, was wir vor den Augen der Kunden bekamen, war eine reine Showeinlage und eigentlich sollte auch nur gezeigt werden: Der Fury, der ist so brav, den können sogar die Kinder reiten.

Dann folgte der fliegende Pferdewechsel. Von Fury wechselten wir auf unsere Shettys. Die hießen Hansi, Alex und Pummel und waren eben kleine Fellkugeln, die wirklich von jedem Kind geritten werden konnten. Mit den Kaufinteressenten ging es dann ab ins Gelände. Dabei gab es klare Regeln: Obwohl wir betonten, den Fury gar nicht so genau zu kennen und ihn heute das erste Mal geritten zu sein, hoben wir immer wieder hervor, was für ein tolles Pferd er sei. Geritten wurde in einer klaren Rangordnung, so wurde verhindert, dass Fury auf dumme Gedanken kam. Bestimmte Wege wurden gemieden, dann da hätte Fury sofort einen Blitzstart hingelegt und am Hochsitz wurde nicht vorbeigeritten, weil da sah Fury jedes Mal schreckliche Monster. Zurück auf dem Hof hatte Klaus die kaufinteressierten Eltern der Fury-Reiterin schon so bequatscht, dass die die Furie direkt auf den Hänger luden und mitnahmen.

Ankaufsuntersuchung? Gab es damals nicht. Vorerkrankungen? Hatte das Pferd nicht. Zum Pferd gab es auch gleich noch den passenden Sattel dazu. Das war in der Regel ein Sattel, den wir sowieso nicht mehr gebrauchen konnten und angepasst war da sicher nichts. Aber komischer Weise passten diese Sättel. Wir hatten ja sowieso nur fünf verschiedene Sättel: einen für Ponys, den wir nicht brauchten, weil wir sowieso immer ohne ritten, einen für ein Kleinpferd und dann noch drei für Großpferde. Auf die Frage „Welchen Sattel soll ich nehmen?“, konnte Klaus einem immer sagen, welcher passt. Und das taten die Sättel auch oder zumindest hatte keins unserer Pferde je Satteldruck. Und das Wichtigste: Wir haben Klaus geglaubt, denn was Klaus sagte, das war Gesetz.

Wen hätten wir auch sonst fragen sollen? Wir hatten kein Facebook, wir hatten nicht mal Internet und auch die erwähnte Conny oder später Wendy waren uns keine Hilfe, weil, die hatten keine Probleme. Oder doch, die hatten schon Probleme, aber das waren ganz andere.

Wir hatten damals allerdings auch keine Probleme. Und wenn wir ehrlich sind, dann haben wir die doch auch heute noch nicht. Jedenfalls nicht so lange, bis wir nicht auf die blöde Idee kommen, uns mit „Gleichgesinnten“ im Internet austauschen zu wollen. Die sorgen dann schon dafür, dass unser bis dahin kerngesundes Pferd zu einer kompletten Invaliden-Baustelle wird.

Früher hatten wir eben Klaus. Klaus kannte noch die alten Hausmittel und wenn die nicht halfen, dann kam der Tierarzt. Das war der gute Viehdoktor. Kein Spezialist für irgendwas. Der kannte sich mit Großtieren aus und nachdem er gerade einem Kalb auf die Welt geholfen hatte, half er nun unserem Pferd wieder gesund zu werden. Und das ganz ohne unsere Hilfe. Wir mussten nicht vor dem Anruf beim Viehdoktor auf Facebook posten, dass unser Pferd krank ist und wir gerade auf besagten Tierarzt warten. Wir haben einfach gewartet und fertig. Und Klaus sorgte in der Zwischenzeit dafür, dass das kranke Tier in den Stall kamt. Nicht, weil es dort besser aufgehoben war, sondern weil der Tierarzt keinen Bock hat, bis zur Weide zu latschen. Danach war die Welt wieder in Ordnung, das Pferd blieb vielleicht über Nacht im Stall und irgendein Kumpel kam dazu. Aber meistens kam das Pferd direkt wieder zu den anderen. Da war es sowieso am besten aufgehoben.

Und heute? Da wird als erstes gepostet, was der Tierarzt gesagt hat. Alle Gleichgesinnten posten ihre Meinung dazu und am Ende steht fest: Der Tierarzt hat keine Ahnung und so wird das nichts. Alternativ wird noch dazu geraten, den Stallbesitzer (in unserem Fall eben Klaus) zu verklagen. Und den Tierarzt, den sollte man sowieso nicht nehmen. Dafür gefällt aber 7 Leuten die Abschwitzdecke total gut, die das kranke Pferd drauf hat und die Besitzerin (in der Regel sind es Mädels) ist sich aber erstmal nicht so sicher, ob das Gelb der Decke der Heilung nun dienlich ist. Die Mehrheit der Mitleser ist sich sowieso einig, dass das Pferd eine viel dickere Decke braucht. Nun werden diverse Marken in den Raum geworfen, mit denen die Hälfte sehr gute Erfahrungen gemacht hat und noch aus dem Stall heraus bestellt die Pferdebesitzerin die neue Markendecke mit 800 Gramm Füllung. Soll ja nicht auch noch frieren, der kranke Gaul und überhaupt, da ist Glitzer dran. Muss also gut sein.

Klaus hätte in so einem Fall einfach mal die Stalltür zugemacht, wahrscheinlich hätte er aber gesagt „Das Pferd ist nicht aus Zucker“. War es auch nicht und kalt war ihm auch nicht. Hätte der Tierarzt gesagt, das Pferd soll eine Decke tragen, dann hätte Klaus irgendeine zerfetzte Bundeswehr-Decke aus einer Ecke gekramt, die vielleicht mal olivgrün war. Hätte der Tierarzt aber ohnehin nicht gesagt.

Heute wird das kranke Pferd also komplett verhüllt und eingepackt, vollkommen egal, was es nun eigentlich hat. Und da es nun nicht geritten werden kann, ist der Besitzerin ja langweilig und sie erhofft sich nun in sämtlichen Facebook-Gruppe Trost und Rat für ihre aussichtslose Situation.

Am Ende steht fest:

Das Pferd darf ab sofort nicht mehr geritten werden.

Der Sattel ist schuld.

Der Tierarzt war Mist.

Der Stallbesitzer hat sowieso alles verbockt.

Das Pferd übrigens galoppiert längst schon wieder glücklich über die Weide. Das merkt die Besitzerin nur leider nicht, weil sie sich virtuell immer noch in ihrem Pech sonnt… bis jemand kommt und ihr sagt, dass es doch ihre eigene Schuld sei und überhaupt, warum das Pferd jetzt 8 Wochen in der Box stehen muss. Dann aber sind alle doof und es wird einfach eine neue Gruppe aufgemacht. Da ist man auch selber Admin, da kann einem keiner was.

Mein Admin damals war Klaus und die Gruppenmitglieder waren die, mit denen ich geritten bin. Und egal, um was es ging: Was Klaus sagte, war Gesetz und in der Regel stimmte es auch.

Klaus lebt inzwischen nicht mehr. Aber wenn ich tagtäglich lese, wie einem Halbwüchsige ihr Wissen aufzwängen wollen, dann wünsche ich mir manchmal einen Klaus zurück, der sagt, wie es ist, keinen Widerspruch duldet und letztlich sowieso immer Recht hatte.

Foto: Juckt das alles überhaupt nicht… außer in dem Moment am Hintern

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